Ein deutscher Jazzmusiker von Weltformat, das war und bleibt eine ganz rare Ausnahme. Der Klarinettist Rolf Kühn gehört zu dieser Königsklasse. Und auch in anderer Hinsicht zählt er zu den Ausnahmekünstlern: Wie keinem anderen gelang es ihm, sich auf seinem Instrument mit einem Ton zu profilieren, der in unterschiedlichen Stilbezirken völlig unverwechselbar bleibt - warm, rund und vollendet. Die Erfahrungen eines langen und reichen Musikerlebens schwingen mit, Reife und Weisheit. Doch zugleicht wird Rolf Kühn von einer unbändigen Neugierde vorangetrieben, die ihn die bekannten, selbst die bewährten Pfade immer wieder verlassen lässt. Souveränität und Vollkommenheit ist seinem Schaffen ebenso eigen wie Wagemut und Risikofreude. Rolf Kühn hat die gesamte Geschichte des Jazz assimiliert. Was mit der jugendlichen Faszination für den Swing begann, hat ihn schließlich bis in die freiesten Bereiche der Improvisation geführt, wobei er stets ein untrügliches Gefühl für Form und Qualität bewies. Geboren in Köln, aufgewachsen in Leipzig, war er bereits in der Nachkriegszeit ein gefragter Solist in den besten deutschen Big Bands. Und er schaffte, was ihm damals keiner nachmachte: den Sprung in die USA und die Anerkennung im Ursprungsland des Jazz. Nach der Wahl zum besten europäischen Klarinettisten, kürte ihn das Magazin Down Beat 1957 zum "Clarinet New Star". Rolf Kühn spielte in den Orchestern von Benny Goodman und Tommy Dorsey und leitete in Abwesenheit Goodmans sogar dessen Band. Inspiriert von Buddy DeFranco, fand er zu einer gänzlich eigenen, modernen Sprache auf seinem Instrument. Anfang der sechziger Jahre wieder in Deutschland, übernahm Rolf Kühn zunächst die Leitung des NDR-Fernsehorchesters, später auch die von großen Bühnen wie dem Theater des Westens in Berlin. Und er spielte mit wechselnden Besetzungen in stets prominenter Umgebung - vom kammermusikalischem Format und den German All Stars bis zur Zusammenarbeit mit Big Bands und sinfonischen Orchestern. In unterschiedlichen Kontexten des enormen Spektrums zwischen moderner Jazztradition Fusion und freiem Jazz blieb er stets ein musikalisch unverwechselbarer Charakter. Das beständige Streben nach aktuellem, im besten Sinne zeitgenössischen Ausdruck lässt Rolf Kühn bis zum heutigen Tag immer wieder neue Spielabenteuer wagen. Darin gleicht er seinem jüngeren Bruder, dem Pianisten Joachim Kühn, mit dem er - besuchsweise eingereist - bereits zusammenspielte, als dieser noch in Leipzig hinter dem Eisernen Vorhang lebte. Nachdem Joachim der Sprung in den Westen gelungen war, gaben die Brüder Kühn ein triumphales Konzert bei den Berliner Jazztagen, gefolgt von einem Auftritt beim Newport Jazzfestival und einer Plattenproduktion für das Impulse!- Label mit dem Coltrane-Bassisten Jimmy Garrison und dem Schlagzeuger Aldo Romano. Viele Jahre später haben Rolf und Joachim Kühn diese Story mit John Patitucci und Brian Blade fortgeschrieben, sie mit "Lifeline" weiter, in die Gegenwart geführt. Rolf Kühns in den siebziger Jahren für das Label MPS entstanden Platten zählen mittlerweile zu den Meilensteinen und zu begehrten Sammlerstücken. Die Besetzungslisten lesen sich wie ein Who's Who der jüngeren Jazzgeschichte. Rolf Kühn hat mit der Crème de la Crème des Jazzrock, mit Alphonse Mouzon, Philip Catherine und Wolfgang Dauner, auch mit Michael und Randy Brecker, Chick Corea, Charlie Mariano und Dave Liebman sowie mit musikalischen Freigeistern wie Lee Konitz, Albert Mangelsdorff und Ornette Coleman gespielt. Das bis in die Gegenwart hinein fortgesetzte Streben nach Erweiterung und Vertiefung des Ausdrucks ließ Rolf Kühn beständig nach neuen Spielabenteuern suchen. Dabei sind langfristig zusammenarbeitende Gruppen wie die "Rolf Kühn Unit" mit dem Gitarristen Ronny Graupe, dem Bassisten Johannes Fink und dem Schlagzeuger Christian Lillinger entstanden. Im Prozess gemeinsamen Improvisierens mit Musikern, die Rolf Kühns Söhne oder gar seine Enkel sein könnten, lernten die Jüngeren vom musikalischen Erfahrungsschatz des Altmeisters, der sich seinerseits von den frischen Ideen seiner Bandmitglieder inspirieren lässt - ein Band der Generationen im Jazz. Mit "Spotlights" machte Rolf Kühn das Prinzip der Begegnung zum stimmigen Konzept einer ganzen Platte, indem er Musikerinnen und Musiker wie die Cellistin Asja Valcic, den Stimmkünstler Ed Motta, den Mandolinen-Virtuosen Hamilton de Holanda und Albrecht Mayer, den Oboisten der Berliner Philharmoniker, zum gemeinsamen Musizierens ins Studio einlud. Das Album "Yellow + Blue" war zugleich der Startschuss für eine neue Gruppe. Beim Line-up könnte man an ein "klassisches "Jazzquartett denken. Doch mit mit Frank Chastenier am Piano, Lisa Wulff, Kontrabass, und dem Perkussionisten Tupac Mantilla beweist Rolf Kühn erneut seinen Sinn für unübliche und spannungsreiche Spielkonstellationen, gelingen Klangbilder zwischen dem Grellen und dem Sanften in wechselnden Farbmischungen. Die Zusammenarbeit mit seinem Bruder Joachim zieht sich wie eine Konstante durch das Schaffen von Rolf Kühn und ist kaum anders als mit tiefer Zuneigung und intuitivem Verstehen zu charakterisieren. So verwundert es nicht, dass die beiden auch gemeinsam ausgezeichnet wurden - mit dem JazzEcho und der German Jazz Trophy, Rolf Kühn überdies für sein Lebenswerk mit der Ehrenurkunde des Preises der deutschen Schallplattenkritik und dem B.Z.-Kulturpreis. Die Autorin Maxi Sickert widmete Rolf Kühn die Gesprächsbiografie "Clarinet Bird: Rolf Kühn - Ein Leben mit Jazz". Im Umfeld des 90. Geburtstags von Rolf Kühn erlebt die Filmdokumentation "Brüder Kühn. Zwei Musiker spielen sich frei" von Stephan Lamby ihre Premiere. Sie wird am 21. September 2019 im Abendprogramm von 3Sat ausgestrahlt. Vitalität und Weisheit, Reife und Brillanz - Rolf Kühns jahrzehntelange und fortgesetzte Präsenz gleicht einem Geschenk für die immer noch wachsende, generationenübergreifende Schar seiner Fans und Bewunderer in der Jazzszene und über diese hinaus. Bert Noglik |
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